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Quer durch Mitteleuropa

Mit Schwerpunkt Mittelpolen

Familienforschung von Brigitte Marufke

Schenawe


           Schussenze          Lache


Die ehemaligen Wiesen der Familie Marufke
die Wiesen der Familie Marufke in Schenawe
Foto: Brigitte Marufke 2004



Der Ort Schenawe liegt in Posen an der Grenze zu Schlesien.

In diesen Ort hatte Großvater Robert Marufke 1869 eingeheiratet. Bis zur Vertreibung 1945 blieb der Hof in Schenawe Nr. 2 im Besitz der Familie Marufke. Zuletzt war der Hof verpachtet.

Das Ortseingangsschild von Schenawe (Szreniawa)

Ortseingang von Szreniawa
Foto: Brigitte Marufke 2000




In diesem Haus wurde Helmut und sein Vater geboren

Helmuts Geburtshaus 2000            Helmuts Geburtshaus 2005

Foto: Brigitte Marufke 2000                                                                                              Foto: Brigitte Marufke 2005

 

Das Dorf Schenawe (= Schönawe, Szreniawa)


Als das Zisterzienserkloster Lacus Mariae gegründet wurde erhielt es auch den Ort Zossinda (= Schussenze/ Ciosaniec) zum Geschenk. Damals im Mittelalter war es das einzige Dorf, das hier weit im Westen des Klostergebietes gelegen war, dementsprechende gehörte Schussenze (Ciosaniec) auch kirchlich zur Pfarrei Altkloster (Stary Klasztor). Alte Karten aus dem frühen 19. und 18. Jh. zeigen, dass die Straßenführung im Klostergebiet, südlich des Obrabruches, sich alle von West nach Ost erstreckten. Nord-Süd Verbindungen gab es kaum, denn das Bruch bildete eine kaum zu überwindende Barriere. Lediglich bei Mauche (= Mochy) befand sich eine Fährstelle, die in den Kirchenbüchern Trajectus Mochi oder auch Przewoz Moch genannt wurde. Von hier führte eine Verbindung zur Stadt Wollstein (= Wolsztyn) und nach Süden hin zur freien königlichen Stadt Fraustadt (= Wschowa). Die westliche Straßenverbindung führte über Schussenze nach Kolzig in Schlesien. Eine Verbindung von Schussenze aus nach Süden hat ursprünglich wohl nur als Waldweg existiert. Zwar hatten die Glogauer Piasten dem Kloster die Dörfer Laubegast und Goile ebenfalls geschenkt, aber da sich die Grenze damals jenseits dieser verfestigte, scheinen sie diesen Besitz wieder verloren zu haben, denn diese Dörfer gehörten seit alters her zur Herrschaft Schlawa.


Die Grenzregion war durch dichte Nadelwälder gekennzeichnet, die Niederschlesien und Großpolen voneinander trennten.
Um das Jahr 1570/80 scheint sich die Bevölkerungslage im westlichen Teil des Klostergebietes derart verändert zu haben, das eine Neuansiedlung eines Dorfes ins Auge gefasst wurde. Schon zuvor scheint sich Schussenze immer weiter nach Süden ausgedehnt zu haben, indem man den Wald dort rodete. Nun wurde weiter entfernt vom Dorf der Boden urbar gemacht und ein neues Dorf, ein typisches Straßendorf, angelegt, dem man den Namen Szreniawa gab. Im südlichen Teil entstand ein Vorwerk, das Schussenze bzw. dem Gut in Altkloster unterstellt war. Die Bauern, die man hier ansiedelte stammten offenbar nur aus den umliegenden Klosterdörfern. Es sind hier Namen zu nennen wie: Stabrey, Helbing, Drauschke, Primel, Schade, Pochanke, Hildebrand, Woitschiski oder Markwitz. Die meisten Familien findet man auch in Schussenze.


Das Dorf scheint sich gut entwickelt zu haben, blieb dann aber – bis heute – auf einer Entwicklungsstufe stehen. Es kam zu keiner Ansiedlung von größeren Handwerksbetrieben oder Manufakturen. Es gab noch nicht einmal einen eigenen Dorfschmied, nur eine Windmühle im Süden auf dem sogenannten Mühlberg gelegen. Diese wurde von den Familien Woitschiski, Stabrey, Pogatzke und zuletzt von Semmler bewirtschaftet.
Die Katastrophen der Geschichte hat auch Schenawe miterlebt, auch wenn es darüber keine direkten Nachrichten gibt. Es sind das Plünderungen in den Nordischen Kriegen zu nennen und natürlich die Pest, die vor allem 1709/10 so verheerend gewütet hat. Ein Indiz für diese Katastrophe ist ein seitlich der heutigen Straßenführung gelegener Weg nach Schussenze, der sogenannte Pestweg. Hierüber trugen die Schenawer ihre Pestopfer, da es verboten war diese durch das Dorf zu tragen, wie es ansonsten allgemein üblich war. Dieser Weg führte direkt zum Friedhof nach Schussenze.


In der Zeit der Polnischen Teilung übernahm der preußische Staat das herunter gewirtschaftete Gut des Klosters in eigene Hände. Ob dieser Akt aus heutigem Verständnis rechtens zu nennen ist, sei dahin gesagt, er hat den einfachen Menschen jedoch genutzt. Die preußischen Verwalter haben das Land wirtschaftlich weit voran gebracht. Bis 1795 gab es im gesamten Klostergebiet nur zwei Steingebäude: die Kirche in Altkloster und in Priment. Die Preußen förderten intensiv den Bau von Ziegelsteinhäusern, damit die oft eng bebauten Dörfer nicht ständig Opfer der Flammen würden. Sie legten den Bruch trocken, worüber man in Polen schon seit vielen Jahren diskutiert hatte. Der Adel war aber in seiner Zerstrittenheit nicht in der Lage gewesen sich zum Nutzen aller auf dieses Projekt zu einigen. Mit der Trockenlegung erhielten alle umliegenden Dörfer ihren Anteil an den neu gewonnenen Wiesen. So hatte jeder größere Bauer in Schenawe bis 1945 seine Wiesen nördlich von Bruchdorf, die er mit seiner Familie bewirtschaftete. Erst nach 1920 kamen noch im Süden gelegene Wiesen hinzu, die aus dem Besitz des parzellierten Gutes Schlawa stammten. In Schenawe nannte man sie die „herrschaftlichen Wiesen“. Sie lagen direkt südlich der Torflöcher, in denen die Bauern ihr Brennmaterial stachen.


Nach der deutschen Reichsgründung 1871 kam es in Deutschland zu einem politischen Streit um die Macht der verschiedenen Kirchen, der sogenannte Kulturkampf. In dieser Zeit versuchte der moderne deutsche Staat den Einfluß der Kirche zurückzudrängen. Der ostelbische Junker Bismarck, der die Verhältnisse im Osten gut kannte, war darum bemüht den polnischen Nationalismus zu bekämpfen, so dass die nunmehr nur noch gültige deutsche Amts- und Schulsprache, die Ziviltrauung u.ä. sich auch gegen die polnischen Nationalisten richtete. Wie immer in der damaligen deutschen Geschichte ging das nach hinten los, weil diese Politik nur von den preußischen Junkern getragen wurde. Der Rest Deutschlands hatte kein direktes Interesse, ja vielerorts wirkte sich noch die Polenbegeisterung von 1848 aus, aus der Zeit der Revolution, in der man den polnischen Freiheitssinn über alles lobte und verehrte. In dieser heißen Phase des deutschen Nationalismus fällt auch die letzte Enteignung von ehemaligem Klosterbesitz. Leider ließen sich darüber bislang keine näheren Dokumente finden, so dass mündliche Überlieferung die Fakten ersetzen muss. Damals standen die Vorwerke in Droniki, Schussenze und Schenawe zum Verkauf an. Die Kirche drohte jedem Käufer mit der Exkommunikation, so war es logisch, dass es Evangelische waren, die diese Güter erwarben. In Schenawe war dies Gustav Stabrey.


Das Dorf Schenawe war immer von Deutschen besiedelt und hatte ebenso wie die anderen Klosterdörfer das deutsche Recht inne. Im ausgehenden 19. Jh. änderte sich das dadurch, dass die hier tätigen Gutsarbeiter vor allem Polen waren, die bei längerer Anwesenheit im Dorf deutschsprachig wurden. Größere kulturelle Unterschiede zwischen katholischen Polen und Deutschen gab es damals nicht. So hatte Schenawe beim Wiedererstehen eines polnischen Staates einen polnischen Anteil von mehr als einem Drittel. Nach 1920 gingen diese Landarbeiter nach Polen oder blieben im Dorf und entschieden sich für ihre angestammte Heimat. Lediglich eine Familie tauschte ihr Land mit einer Deutschen: die Familie Pijanowski tauschte ihre Hof mit den Waschkowiak aus Mauche.
In der Zwischenkriegszeit verlief die Geschichte ihren gewohnten Gang weiter. Auch jetzt reichte das Land nicht für alle zum Leben. Wie schon seit dem 19. Jh. zog es viele Schenawer als sogenannte Sachsengänger in die westlichen Industriegebiete oder als Saisonarbeiter in die Ziegeleien bei Zehdenik und am Spreewald oder in die Rübenfabriken um Berlin herum. Im noch existierenden Kreis Bomst wurde zu Beginn der 30er Jahre eine Betonstraße gebaut, die an der schlesischen Provinzgrenze endete und bis heute noch vorhanden ist.


1938 wurde die Grenzmark Posen-Westpreußen aufgelöst und eine neue Verwaltungsstruktur eingeführt. Der Restkreis Bomst wurde aufgelöst und alle Dörfer südlich der Obra kamen zum Kreis Grünberg (Zielona Góra) und damit erstmals in ihrer Geschichte nach Schlesien. Zur selben Zeit wurde auch der Ortsname in Schönforst verändert. Hintergrund dieser Maßnahme war offiziell eine Vereinfachung, in Wirklichkeit wollten die Nationalsozialisten alles irgendwie slawisch klingende eliminieren. Schenawe hatte schon mehrfach andere Namensformen gehabt, wie man aus den Kirchenbüchern entnehmen kann, aber noch nie eine so total andere wie diese. Es finden sich folgende Namensversionen: Szreniawa 1701, Szronawa 1734, Szieniawa 1746, Szrensawa 1748, Szrenawa 1780, Szönawe 1795, Schönawe 1797, Schinawe 1799, Schinaiv 1800, Schenawe 1802, Schenaw 1802, Schoenawe 1804.


Die Weltkriege rangen auch dem Dorf Schenawe einen großen Blutzoll ab, fast keine Familie hatte nicht mindestens einen Verlust zu ertragen. Die Zeit nach 1939 war hart: die Männer – Väter und Söhne – waren im Krieg, Frauen und Kinder mußten den Hof alleine bewirtschaften und erhielten im Glücksfall einen polnischen Zwangsarbeiter zugewiesen. Diesen gegenüber verhielt sich die Landbevölkerung in der Regel nicht anders als gegenüber den früheren Lohnarbeitern, aber auch hier zeigte die fanatische Rassenideologie ihre bösen Auswirkungen. Dafür bekamen sie nach 1945 die Folgen des Hasses, den die Nationalsozialisten gesät hatten zu spüren. Die Geschichte vergisst nichts, rächt sich aber sehr oft an den Falschen.


Im Januar 1945 hieß es, das Dorf muß geräumt werden, hier wird bald die Front sein. Die Bauern brachen mit ihren Wagen auf und zogen bis nach Lansitz bei Grünberg. Hier weigerten sich die Kuhbauern weiterzuziehen. „Je weiter wir jetzt gehen, desto weiter müssen wir wieder zurück laufen.“ Damals ahnte noch kaum jemand, dass dieser Krieg das Ende des fast 700jährigen deutsch-polnischen Zusammenlebens bedeuten würde.
Kaum waren die Flüchtlinge von der Roten Armee überrollt worden, wurden alle Arbeitsfähigen ab 15 Jahren gen Osten verschleppt. Viele kamen nicht wieder. Diejenigen, die zurückkehrten fanden ihre Höfe von Polen aus dem Osten besetzt vor. Diese kannten die örtlichen Verhältnisse nicht, für sie waren alle Deutschen Nazis = Verbrecher.


Lediglich die polnischen Familien, die nach 1920 für Deutschland optiert hatten, konnten in Schenawe bleiben, doch sie waren immer in beiden Kulturen verwurzelt. Mir hat mal ein Pole gesagt, dass sie damals das vereinte Europa schon gelebt hätten, das wir nun wieder anstreben.


Dr. Martin Sprungala, Heinrichstr.56, 44137 Dortmund, www.sprungala.de



 

 

 

 

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